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Filmrezension: Morbius

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Griechenland vor 25 Jahren: Der junge Michael lernt den ebenso jungen Milo kennen. Beide sind noch Kinder, leiden aber unter unheilbaren Blutkrankheiten. Gemeinsam leben sie unter der Obhut von Dr. Emil Nicholas. Weil Michael hochbegabt ist, schickt in Nicholas in eine Fördereinrichtung. Über die Jahre entwickelt er sich zum Spezialisten der Hämatologie und erfindet während eines Experiments künstliches Blut. Dafür soll er den Nobelpreis erhalten – den er allerdings ablehnt. Viel mehr Interesse hat er daran, ein Heilmittel für seine und Milos Blutkrankheit zu finden, weshalb er mit Fledermäusen aus Costa Rica herumexperimentiert. Deren Fähigkeit, sich von Blut zu ernähren. Um das zu verdauen, nutzen sie Speichel, der gerinnungshemmend wirkt. Und genau das möchte könnte Michael (und vielen anderen mit gleicher Krankheit) das Leben retten. Dass er sich mit diesen Experimenten im illegalen Bereich aufhält, ist ihm klar. Ein erster Test mit einer Maus funktioniert, weshalb Michael die Grenze überschreiten und sich das Serum selbst injizieren will.

Martine Bancroft (Adria Arjona) in Columbia Pictures' MORBIUS.

Dafür schippert er mit einem Boot in neutrale Gewässer, damit man ihm rechtlich nichts anhaben kann. Doch geltendes Recht wird nicht Michaels Problem sein, denn de Verbindung mit der Fledermaus-DNA fördert etwas Mörderisches in ihm an die Oberfläche … Es ließ sich so gut an, mit Sonys Spider-Man Universe (SSU). Das Universum, das Columbia Pictures in Kooperation mit Marvel etablieren wollte und das sich um Figuren drehen sollte, die aus dem Spider-Man-Universum kommen, startete 2018 mit Venom überraschend erfolgreich. Bereits 2014, nach The Amazing Spider-Man 2, hatte man vorgehabt, Spin-off-Filme zu inszenieren, die sich auf Gegenspieler von Spider-Man konzentrieren sollten. Doch für Sony war das Kinoeinspiel von Amazing Spider-Man 2 letztlich zu schwach und man begrub die Idee erst einmal wieder.

Milo (Matt Smith) in Columbia Pictures' MORBIUS.

Erst später nahm man sie wieder auf und der mit Tom Hardy idealbesetzte Venom entpuppte sich trotz Unbeliebtheit bei Kritikern mit 850 Mio. Dollar Einspiel zum Kassengarant. Da er nicht allzu teuer gewesen war, ein echter Hit. Dem Nachfolger, Venom: Let there be Carnage, gelang zwar nicht mehr das gleiche Einspiel, doch auch dessen 500 Mio. Dollar Umsatz (immerhin in einer frühen Post-Corona-Phase) dürfen sich sehen lassen. Parallel zur Produktion der Venom-Fortsetzung wurde auch der dritte Film des SSU in Angriff genommen: Morbius. Morbius wurde zeitlich sogar vor Venom 2 gedreht und sollte mit einem Juli-2020-Start auch vor diesem in die Kinos kommen – hatte man Let there be Carnage doch auf den Oktober 2020 terminiert.

Agent Stroud (Tyrese Gibson) and Agent Rodriguez (Al Madrigal) in Columbia Pictures' MORBIUS.

Ob dem mit Jared Leto besetzten Film genutzt hätte, wenn man ihn final vor dem zweiten Venom in die Kinos geschoben hätte? Eine Frage, die wohl nur Besitzer einer Glaskugel beantworten können. Fakt jedenfalls ist: Morbius schmierte bei einem Budget von ~80 Mio. Dollar mit einem Einspiel von gerade einmal 160 Mio. Dollar an den Kinokassen ab. Auch eine zweiter Kino-Release in diesem Juni (basierend auf der Idee, die Welle von süffisanten Morbius-Internet-Memes auszunutzen #morbiussweep) rettete nichts mehr. Dass die Internet-Gemeinde mit dem Film so süffisant umging, lag sicher auch daran, dass es selten so viele negative Kritiken für einen Blockbuster gab. Mit 17 % auf dem Tomatometer von Rotten Tomatoes (basierend auf über 250 Kritiken) steht er dort als 17. schlechtester Superheldenfilm aller Zeiten – nur ein paar wenige Plätze über Batman & Robin und mit der gleichen Bewertung wie die Gurke Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen.

Dr. Michael Morbius (Jared Leto) in Columbia Pictures' MORBIUS.

Wie gesagt: Das Publikum nahm’s in der Folge mit Humor und „missbrauchte“ den Film für die eigenen Zwecke im Netz. Stellt sich aber die Frage: Ist Morbius wirklich so übel? Tja, eigentlich schon. Es beginnt so universell wie langweilig, weil man’s im Superheldengenre einfach viel zu oft gesehen hat: Wissenschaftler macht Experiment(e), Experiment geht schief, Wissenschaftler mutiert – gähn. Das ist so innovativ wie der Weihnachtsbaum an Heiligabend. Aber selbst wenn man das als gesetzt hin nimmt, weil’s eben so ist, wird es danach nicht besser. Zum einen spielt Leto den Vampir erstaunlich blass – und damit ist nicht sein Teint gemeint. Es mag zum Teil am schwachen Drehbuch liegen, das immer wieder völlig unlogisch ist und seine Hauptfigur überdies viel zu ernst nimmt. Hinzu kommt, dass viele Dinge schlicht keinen Sinn machen. Da wirft Michael seinem Gegenspieler später dessen unnötige Gewalttaten vor und überhöht sich selbst moralisch, obwohl er nach seiner ersten Verwandlung selbst eine ganze Schiffsmannschaft massakriert hat – und zwar (wenn schon Moral, dann richtig) ohne sich den Behörden zu stellen. Apropos Massakrieren und damit zu einem weiteren Problem von Morbius: Wir haben es mit einer düsteren Comic-Buch-Vampir-Charakter-Geschichte zu tun.

Dr. Michael Morbius (Jared Leto) in Columbia Pictures' MORBIUS.

Die Angriffe der Hybridwesen sind dynamisch gefilmt, aber erschreckend blutarm. Da zerfurcht Michael nach einer halben Stunde seinen Gegnern mit der Kralle die Kehle, was filmisch so brutal inszeniert ist, dass man Fontänen aus Aorten vermutet – und nicht mal einen Tropfen Lebenssaft geliefert bekommt. Wir sitzen also in einem Vampirfilm, der kein Blut zeigt. Da war Roman Polanskis Tanz der Vampire krasser – und das ist eine Genre-Komödie. Kein Wunder, dass auf dem Cover eine FSK12 prangt. Ähnliches hatte man seinerzeit auch Venom angekreidet. Doch der war wenigstens witzig und nahm sich selbst nicht so dermaßen bierernst. Schlimm ist, dass Morbius aus einer eigentlich coolen Prämisse nichts macht. Denn gegenüber den meisten Vampirfilmen, deren Blutsauger von einem anderen Wesen irgendwann mal gebissen und verwandelt wurden, strebt Michael danach, Menschen zu helfen. Jetzt sitzt er da in seinem Dilemma, menschliches Blut konsumieren zu müssen, um zu überleben, damit er weiter Menschen helfen kann. Was hätte man daraus für eine dramatische Zuspitzung machen können. Stattdessen läuft’s wieder auf das altbekannte Gut gegen Böse hinaus.

Morbius (Jared Leto) in Columbia Pictures' MORBIUS.

Auch die zweite, angerissene Thematik des „Vampirismus als Sucht“ wird nicht weiter verfolgt und einem Neid-Motiv unterstellt, das allzu billig daherkommt. Dann haben wir noch das Thema mit dem verblassenden Effekt der Blutkonserven. Zwar zeigt Morbius immer wieder, dass der Superkräfte-Effekt nur von kurzer und degressiver Natur ist, doch anstelle daraus fesselnde Rennen-gegen-die-Zeit-Momente zu machen, bleibt’s beim Blick auf die Uhr. Weiter geht’s mit teils verwirrenden Schnittabfolgen: Die Szenen, in denen Michael das erste Mal vor den Agenten seine Kräfte zeigt und in der Folge inhaftiert wird, erlauben den Staatsdienern weder eine gewisse Verblüffung, noch versteht man, warum sich Michael nicht einfach aus dem Staub macht. Vielleicht wollte Regisseur Espinosa an dieser Stelle seine albernen CGIs nicht schon wieder einsetzen.

Dr. Michael Morbius (Jared Leto) in Columbia Pictures' MORBIUS.

Denn was genau soll dieses Leuchtspuren-Ding, das in X-Men 2 vor 20 Jahren schon besser aussah? Wo es damals inhaltlich Sinn gemacht hat (es ging ja um Teleportation), ist es hier schlicht absurd – ganz davon abgesehen, dass es die Kämpfe unübersichtlich macht und wie einen Matsch aus Farben wirken lässt. Weil Espinosa das selbst merkt, hält er ab und an inne und verlangsamt die Szenen auf Zeitlupentempo – was keine gute Idee ist. Denn dort sehen die Computereffekte nur noch viel schlechter aus. Ganz besonders ärgerlich wird das im Finalkampf, der in dunkler Nacht spielt und durch diese Leuchtspur-CGIs völlig ignoriert, dass man vielleicht auch mal etwas erkennen möchte. Ach ja, und dann diese Logiklöcher: Warum sind auf dem Schiff bewaffnete Söldner? Warum probiert Michael nicht, ob’s mit Tierblut funktioniert? Und was ist mit dem Vampir-Ding, dass gebissene Menschen selbst zu Blutsaugern werden – warum gilt das für sämtliche Getöteten in Morbius nicht, bis auf einen?

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Außerdem scheinen amerikanische Gefängnisse ziemlich lax mit ihrer Besucher-Leibesvisitation umzugehen. Anders ist nicht zu klären, was Milo dort reinschmuggelt. Wo wir gerade dabei sind: Warum befreit er Michael nicht gleich selbst? Und warum können sich die beiden ab und an über Meilen wittern und brauchen an anderer Stelle Hilfe, um den anderen zu finden? Dass Nicholas schwer verletzt zwar mit Michael telefonieren kann, aber keinen Krankenwagen zu rufen vermag, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Ein Rätsel wie die Milliarden Fledermäuse, die sich Morbius im Finale direkt vom Helden eines anderen Comic-Publishers geliehen zu haben scheint. Wo sonst sollen die plötzlich alle herkommen? Immerhin lässt das Drehbuch hier und da ein paar nette Querverweise auf das Vampirgenre vom Stapel. So heißt bspw. das Schiff, auf dem Michael das Experiment an sich vollzieht, „Murnau“ – mithin der Nachname des Regisseurs von Nosferatu. Neben der Audioqualität (siehe nächstes Kapitel) und Letos erneuter Aufopferung, sich körperlich für einen Film drastisch zu verändern, eins der wenigen Argumente für Morbius.

 

 

Fazit

Morbius hat ein paar starke Grundideen und macht daraus genau nichts. Sämtliche Prämissen werden frühzeitig zugunsten der simpelsten aller simplen Superheldenfilme-Konfrontationen fallen gelassen. Und nicht mal dieses Aufeinandertreffen der eigentlichen Freunde nutzt das dramatische Potenzial, das darin gesteckt hätte. Unglaublich eigentlich, wie sehr hier nichts funktioniert und kein einziges Puzzleteil zum anderen passt. Unpassend ist ein gutes Stichwort, denn wo man Morbius 100 Minuten lang lediglich zu Fuß (oder per Superkraft fliegend) gesehen hat, fährt er in der Mid-Credit-Scene plötzlich Auto, um für ein Fahrzeug eines Stuttgarter Herstellers Promotion zu machen – viel auffälliger kann Product Placement kaum sein.

 

 

Filminfos und Inhalt: Morbius

  • Anbieter: Sony Pictures Germany
  • Land/Jahr: USA 2020
  • Regie: Daniel Espinosa
  • Darsteller: Jared Leto, Matt Smith, Adria Arjona, Jared Harris, Al Madrigal, Tyrese Gibson
  • Tonformate BD: dts-HD-Master 5.1: de, en
  • Tonformate UHD: Dolby Atmos (True-HD-Kern): en // dts-HD-Master 5.1: de
  • Bildformat: 2,39:1

 

Autor: Timo Wolters  - (Copyright Szenenfotos: © 2022 Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved. | MARVEL and all related character names: © & ™ 2022 MARVEL )

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