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Filmrezension: NOBODY

nobody 4k uhd blu ray review coverHutch Mansell ist ein Niemand. Eine graue Maus im Dickicht des alltäglichen Durchschnitts. So grau, dass er sich selbst manchmal nicht sieht. Und so gewöhnlich, dass ihm nicht mal das Braten eines Spiegeleis gelingen will – geschweige denn das rechtzeitige Erreichen des Müllwagens mit der vollen Mülltonne.

 

 

Hutch Mansell ist ein Niemand. Eine graue Maus im Dickicht des alltäglichen Durchschnitts. So grau, dass er sich selbst manchmal nicht sieht. Und so gewöhnlich, dass ihm nicht mal das Braten eines Spiegeleis gelingen will – geschweige denn das rechtzeitige Erreichen des Müllwagens mit der vollen Mülltonne. Seine Frau schaut ihn täglich von einem Plakat an der Bushaltestelle aus an. Sie ist immerhin eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Als seine Familie eines Nachts überfallen wird, bringt er es nicht mal fertig, mit dem Golfschläger zuzuschlagen, obwohl er frei Bahn gehabt hätte und sein Sohn einen der beiden Einbrecher bereits im Schwitzkasten hatte. Kein Wunder, dass der Filius ihn im Anschluss für einen Schlappschwanz hält. Und der Nachbar sich auch noch darüber lustig macht.

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Selbst sein alternder Vater sieht dem Sohnemann an, dass er schon bessere Tage gehabt hat. Das einzige Familienmitglied, das Hutch mit Zuneigung begegnet, ist die kleine Tochter Abby. Als aber gerade Abby den Verlust einer Kette beklagt, reicht es Hutch. Er geht zu seinem Vater, schnappt sich die Waffe, die dort seit Jahren versteckt liegt, und nimmt dessen alten FBI-Ausweis mit – ein paar Verdächtige aufscheuchen und Nachforschungen anstellen, wird man derart ausgestattet wohl noch schaffen. Doch die Welt ist feindselig und die beiden Einbrecher gar nicht mal so böse wie gedacht. Als Hutch daraufhin frustriert, im Bus nach Hause fährt und ein paar üble Kerle eine Frau belästigen, entlädt sich die seit Jahren aufgestaute Wut und löst eine Kette unvorhersehbarer Ereignisse aus …

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Klingt ein bisschen nach John Wick? In der Tat. Könnte aber vor allem daran liegen, dass das Drehbuch von Derek Kolstadt, dem Autor sämtlicher John-Wick-Teile stammt. Verfilmt hat’s der russische Regisseur Ilya Naishuller, der eigentlich vornehmlich in einer Band spielt, nachdem er zahlreiche klassische Ausbildungswege frühzeitig abbrach. Der Filmwelt fiel er vor allem mit dem 2015er Ego-Shooter-Lookalike-Actioner Hardcore auf. Darin schilderte er aus der Point-of-View-Perspektive, wie sich ein Kerl namens Henry, der nach einem Unfall mit kybernetischen Prothesen ausgestattet wurde, gegen allerlei Widersacher wehren muss. Inszenatorisch nahm er diesen Film zwei Jahre zuvor übrigens im von ihm selbst produzierten Musikvideo seiner Band zu Bad Motherfucker vorweg.

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Vor lauter Tempo kam man in Hardcore damals allerdings kaum mit. Deshalb hat er sich für Nobody ein paar Raffinessen einfallen lassen, wie er dem arg ungehobelten Stil ein wenig Feinschliff verpassen konnte – beispielsweise mit stylischen Zeitlupen zu ungewohnter Musikuntermalung oder dem Stakkato-Schnitt direkt zu Beginn. Mit ganz kurzen Schnipseln aus Mansells Leben wird deutlich, dass dieses lediglich aus Essen, Schlafen, Arbeiten und Kaffeetrinken besteht. Tagein, tagaus. Immer das Gleiche. Die Tage hämmern sich nach und nach in den Bildschirm und nichts, aber auch rein gar nichts ändert sich für den Mr. Niemand. Nicht mal Sex ist Bestandteil seines stupide-stumpfen Lebens, dessen einzige Abwechslung die allmorgendlichen Klimmzüge an der Bushaltestelle sind – im Antlitz seiner Frau, die ihn von einem Plakat anstarrt.

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Bob Odenkirk, der Saul Goodman aus Breaking Bad und Better Call Saul, ist dieser Hutch Mansell. Odenkirk wurde 1962 geboren. Damit war er zum Zeitpunkt des Drehs fast 60 Jahre alt. Und deshalb eigentlich raus aus dem Alter, in dem man sich nach Herzenslust in einem Film prügelt. Witzigerweise denkt man das über einen Odenkirk, während ein gerade mal zwei Jahre! jüngerer Keanu Reeves sich demnächst zum vierten (und danach fünften) Mal als John Wick durch eine Hundertschaft an Gegnern boxen und treten darf, ohne dass das jemals ein Filmfan in Frage stellen würde. Aber genau das war natürlich die Intention der Macher hinter Nobody. Denn umso überraschender, härter und erfrischender wird der Feldzug des Hutch Mansell dadurch. Wenn er in Zeitlupe nach 27 Minuten durch die fünf randalierenden Outlaws im Bus läuft und aus dem Off zu sich (und damit zum Zuschauer) sagt: “Hoffentlich mögen diese Arschlöcher Krankenhausfraß”, ist das bereits grandios.

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Kurz darauf legt er nach einem herzhaften “I’m gonna fuck you up” los, als gäbe es kein Morgen. Und all jene Zuschauer, die sich die Überraschung bis dahin bewahren, werden Augen machen, was Bob Odenkirk in Zusammenarbeit mit den Kampfchoreografen und einem langen Vorabtraining gen Zuschauer hämmert (wer Odenkirk beim Training schwitzen sehen will, klickt den Link). Dass er dabei nicht nur brutal austeilt, sondern auch massiv einstecken muss, macht die Szene nur umso intensiver. Schon heute dürfte sie damit zu einer legendären Fight-Sequenz geworden sein, die aufgrund ihrer Rohheit und dem gleichzeitigen skurrilen Humor einen immensen Unterhaltungsfaktor hat. Regisseur Naishuller lässt sich im Gegensatz zu Hardcore aber auch auf seine Figuren ein und drischt dem Zuschauer nicht ständig visuelle Mätzchen um die Ohren. Und das tut Nobody unglaublich gut. Natürlich liegt das auch an Odenkirk, der als Charakterdarsteller etabliert ist und neben Connie Nielsen (Gladiator), die eine ebenso starke Rolle hat, brilliert.

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Ebenfalls herausragend: Aleksey Serebryakov als Yulian Kuznetsov. Er spielt den älteren Bruder eines der von Hutch zusammengeprügelten Bus-Opfer. Einen russischen Unterweltsboss, dessen Impulsivität derart authentisch gespielt ist, dass man ihm besser keine Widerworte gibt, um nicht anschließend mit gebrochenen Beinen (oder schlimmerem) dazustehen. Ja, auch das erinnert sehr an die Geschichte zum ersten John Wick. Auch dort war’s ein russischer Gangster, der (widerwillig) seinen von John geprügelten Sohnemann rächen wollte. Lediglich die Familienverhältnisse ändern sich in Nobody, da Yulian “nur” der größere Bruder des Geschundenen ist, nicht der Vater. Mögen tun sich die zwei aber auch hier nicht. Und die Dynamik zwischen Yulian und Hutch ähnelt schon sehr der Story des Keanu Reeves Actioners. Serebryakov porträtiert den Yulian allerdings nicht im Ansatz gentlemanlike. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Typ ein Soziopath ist. Einer, mit dem selbst ein Ex-Hitman wie Hutch Mansell nicht spaßen sollte. Einer, der vor versammelter Mannschaft mal eben einen Hünen von Kerl mit einem zersplitterten Weinglas derart bearbeitet, dass die Blutkonserven des lokalen Krankenhauses nicht ausreichen würden. Die Brutalität, die Nobody bisweilen integriert, ist heftig und unbarmherzig. Schaut man Kuzentsov bei seinem Werk zu – egal, wen er gerade in die Mangel nimmt – fügt das dem Betrachter fast physischen Schmerz zu.

Abseits der Gewalt und den coolen Darstellern schafft es aber gerade die Regie von Naishuller, den Film locker auf ein Unterhaltungsniveau mit John Wick zu heben. Immer wieder fallen ihm nette Gags ein, um die sich anbahnende Konfrontation zwischen Yulian und Hutch voranzutreiben. Wie bspw. die flott zwischen Barber und Yulians Haus- und Hof-Hackerin hin- und her geschnittenen Szenen. Das hat in seiner cleveren Inszenierung schon fast etwas von Guy Ritchies Snatch. Die coolste Szene jedoch gehört dem großartigen Christopher Lloyd, der als Grandpa-Mansell nach etwas über einer Stunde zeigen darf, dass er mehr beherrscht als die Fernseh-Fernbedienung. Da Nobody sich zudem erfreulich kurz und knackig hält (effektiv ~86 Minuten Spielzeit), kommen Längen zwischendurch erst gar nicht auf. Kleines Trivia am Rande: Die ursächliche Idee zur Story kommt von Bob Odenkirk selbst, bei dem bereits zweimal Zuhause eingebrochen wurde, während er und seine Familie im Haus waren. Für den sympathischen Darsteller liegt also durchaus ein nicht kleiner autobiografischer Anteil im Kern von Nobody.

 

 

Fazit

Unerwartet, rau, brutal, bissig, sarkastisch – man könnte noch eine Menge mehr Adjektive aufzählen, um Nobody zu beschreiben. Vor allem aber ist er eines: Mordsmäßig unterhaltsam. Das liegt zum einen an der wirklich cleveren und straffen Inszenierung, vor allem aber an Bob Odenkirk. Dass sich der Saul-Darsteller zwei Jahre physisch auf die Rolle vorbereitet hat, nimmt man ihm in jeder Actioneinstellung ab – ebenso aber den grauen Mr. Nobody zu Beginn. Und deshalb ist dieser Hutch Mansell vielleicht der unscheinbare, aber umso überraschendere Bruder im Geiste von John Wick. Man munkelt, dass es vielleicht mal zu einem kleinen Crossover kommt. Eine Fortsetzung hingegen sollte nach einem erfolgreichen Heimkino-Release (hoffentlich) nur noch eine Formsache sein. Denn der Keller im neuen Haus muss ja ausprobiert werden.

 

Filminfos und Inhalt: NOBODY

  • Anbieter: The Walt Disney Company (Germany)
  • Land/Jahr: USA 2020
  • Regie: Ilya Naishuller
  • Darsteller: Bob Odenkirk, Connie Nielsen, RZA, Aleksey Serebryakov, Christopher Lloyd, Michael Ironside
  • Bildformat: 2,39:1

Autor: Timo Wolters 2020 - 20th Century Studios All Rights Reserved / The Walt Disney Company (Germany)

 

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