Mit dem Nothing ear (1) In-Ear-Kopfhörer wollen wir uns heute das Erstlingswerk der neuen Audioschmiede genauer anschauen und klären, ob der Neuling im Kopfhörer-Segment gleich einen Volltreffer landen kann.
Wenn man als Redakteur im Audio-Segment heutzutage die Pressemitteilungen so durchliest, ist es oft ernüchternd was einem so vorgesetzt wird. Bei der ersten Sichtung des „Prototypen“ vom Nothing ear (1) mit seinem transparenten Gehäuse und den vielen Features zum fairen Kurs, war ich dann aber doch schon gespannt was uns da erwartet und wurde auch nicht enttäuscht, aber der Reihe nach.
Schon die Verpackung ist etwas „anders“ gestaltet. So besitzt die Umverpackung ein rotes Aufreißschnürchen wie man es von Keksen oder so her kennt und gibt danach eine silberfarbene Schatulle frei, welche den eigentlichen Kopfhörer und das Zubehör beinhaltet, aber keinen unnötigen Kunststoff. Dem Lieferumfang liegt neben dem Case inklusive Ohrhörer zwei weitere Silikonaufsätze bei, insgesamt sind drei Aufsätze dabei, einer ist schon montiert. Dazu gesellt sich ein USB-C Ladekabel, was sehr kurz ausfällt und der übliche Papierkram.
Sehr erfrischend und äußerst modern wirkt die Ladeschale in dem die Ohrhörer verstaut werden. Das transparente Gehäuse ist robust in der Materialdicke, besitzt ein langlebiges Scharnier aus Metall auf der Rückseite und der Deckel hält sich über einen Magneten geschlossen. Die Ohrhörer werden auch von einem Magneten in Position gehalten bzw. rutschen auch wieder durch die magnetische Kraft selbständig in ihre Auflade-Vorrichtung. Das man hier mit Überzeugung rangegangen ist, zeigen die kleinen Details wie der innen aufgebrachte ear (Case) Schriftzug oder die kreisrunde Aussparung auf der Deckeloberseite, welche das Case mittels Daumen wie ein sogenannter „Fidget Spinner“ drehen lässt. Sicherlich kein kaufentscheidendes Argument, aber man spürt hier hat sich jemand Gedanken gemacht, um dem üblichen Einheitsbrei ein wenig was entgegenzusetzen.
Das spiegelt sich auch bei den Ohrhörern selbst wider. Auch wenn die gezeigten Prototypen im Netz ein wenig anders aussahen, etwas transparenter und noch technischer, sind die Nothing ear (1) In-Ears optisch sehr gelungen in meinen Augen. Die 4,7 Gramm leichten Stöpsel sind im Ohrbereich komplett weiß gehalten und das herausstehende Stück durchsichtig und gibt den Blick auf Mikrofone, Magneten und Leiterplatinen preis. Zusätzlich prangt noch der technisch angehauchte Schriftzug und farbliche Markierungen für rechts und links auf den Ohrhörern. Zusammen wirkt das sehr - Abseits der üblichen Verdächtigen - und im Ohr steckend schon auffallend. Wer viel Wert auf etwas optisch Außergewöhnliches legt, wäre bei den ear (1) somit goldrichtig.
Meist geht ein schickes Design auf Kosten der praktischen Nutzung, aber das trifft bei den Modellen von Nothing nicht zu. Der Tragekomfort ist mit dem richtig gewählten Silikonaufsatz sehr angenehm. Sie bieten einen sicheren Halt auch bei hektischen Bewegungen, stören auch nach 2-3 Stunden nicht im Ohr und obwohl sie den Gehörgang komplett abschließen, ist auch kein unangenehmes Druckgefühl vorhanden. Mit ihrer IPX4-Zertifizierung sind sie auch problemlos für den Sport zu gebrauchen, da sie gegen Spritzwasser nichts haben. Sollte sie aber mit einem trocknen Tuch zumindest abwischen, bevor man sie in die Ladeschale zurücklegt. Abwaschen ist nämlich nicht möglich.
Aber nicht nur optisch machen die ear (1) einiges her. Mit einem dynamischen 11,6mm Treiber möchte man auch klanglich überzeugen. Dieser wird über eine aktuelle Bluetooth 5.2 Schnittstelle mit Signalen versorgt, welche mit den Codecs SBC und AAC umgehen kann. Ob man jetzt aptX unbedingt braucht, muss jeder für sich selbst beantworten. Klanglich sind die Unterschiede viel zu gering um es als Argument ins Feld zu führen.
Bei der Akkukapazität bringt das Ladecase 570mAH mit, was zusammen mit den Ohrhörern bis zu 34 Stunden Laufzeit ermöglichen soll. Die Kopfhörer selbst schaffen laut Hersteller bis zu 5,7 Stunden. In der Realität erreichte ich bei 70% Lautstärke und aktivierten ANC gute vier Stunden ohne ANC waren knapp fünfeinhalb Stunden drin. Ein solider Wert, wenn man bedenkt das z.B. die Huawei FreeBuds 4 nur 2-2,5 Stunden durchhalten und dabei deutlich teurer sind. Aber hier tummelt man sich im Mittelfeld. Die z.B. Cambridge Audio Melomania 1+ schaffen ohne eine ANC-Funktion über sechseinhalb Stunden und sind fast identisch vom Gewicht. Aber die Herstellerangabe von 5,7 Stunden ist zumindest in Reichweite und aufgeladen sind die Ohrhörer auch schnell wieder. Nach 10 Minuten im Ladecase waren knapp 80 Minuten Kapazität vorhanden.
Zur Bedienung der Ohrhörer setzt Nothing auf berührungsempfindliche Oberflächen auf beiden In-Ears, wie man es von vielen Herstellern her kennt. Streichen nach oben oder unten verändert die Lautstärke, mehrmaliges Tippen stoppt, startet oder überspringt Titel und längeres Berühren schaltet durch die Funktionen wie Noise Cancelling oder den Transparenzmodus. Das funktioniert auch haptisch sehr gut. Die Ohrhörer erkennen die Befehle zuverlässig und setzen diese auch direkt um. Leider ist die akustische Bestätigung bei den Funktionen wie Noise Cancelling oder dem Transparenzmodus nur durch einen Ton identifizierbar. Wo andere Hersteller mit z.B. „Nose Cancelling ON“ oder „Awareness“ die aktive Funktion stimmlich bestätigen. Das macht das Auffinden des gewünschten Modi etwas schwierig. Im Notfall hört man es ja aber bzw. schaut eben auf die Nothing-App, welcher Modus gerade aktiv ist.
Wo wir gerade bei der App-Steuerung sind. Auch die ear (1) verfügen über eine Softwarelösung mit den wichtigsten Funktionen. Aktuell ist diese nur in englischer Sprache vorhanden. Da aber viele Funktionen eben auch eingedeutscht sind, sollte das Niemanden vor ernsthafte Probleme stellen. In der App selbst gibt es alle wichtigen Funktionen im Überblick und können auch dementsprechend angepasst werden. Leider gibt die Startseite der App bis auf den Akkuzustand keine weiteren Informationen preis, sondern erst durch das Tippen auf „Hear“ zeigt die App den aktuell gewählten Modi an.
Das könnte man bei einem nächsten Update gerne auf die Hauptseite legen. Auch braucht die App beim ersten Starten ein paar Gedenksekunden, um mit den In-Ears in Kontakt zu treten. Das geht bei meinen Huawei FreeBuds Pro deutlich schneller. Aber die App ist ansehnlich gestaltet, die technische Schrift wurde auch in die App übernommen, so wirkt alles aus einem Guss und die Übersichtlichkeit ist auch gegeben.
Größenvergleich: oben Huawei FreeBuds 4 und unten FreeBuds Pro
Wie schon angesprochen, verfügen die ear (1) auch über ein aktives Noise Cancelling, welches mich äußerst positiv überrascht hat. Es arbeitet sehr effektiv in den unteren Frequenzbereich, so das selbst ein Spaziergang an einer stark befahrenden Straße erholsam sein kann, da z.B. das Brummen von Motoren und die Abrollgeräusche sehr gut gefiltert werden. Der Kopfhörer selbst schließt den Gehörgang schon effektiv, aber mit aktivierten ANC ist auch das restliche Grundrauschen in einer Stadtumgebung fast verschwunden und arbeitet für mich hörbar effektiver als z.B. die Huawei FreeBuds Pro oder die JBL Live Pro+ TWS das tun. Wer dabei keine Lautsprecher-Durchsage am Bahnhof verpassen oder sich mit jemanden unterhalten möchte, der schaltet einfach kurz in den Transparenz-Modus, der dann die Umgebung in voller Pracht akustisch durchlässig macht. Hier spielt dann die etwas fummelige Modi-Umschaltung dann eine Rolle.
Die Mischung aus hohen Tragekomfort und effektivem Noise Cancelling unterstützt auch im Home Office. Auch wenn die Sprachqualität der verbauten Mikrofone keine Wunder vollbringen, wird man beim Gegenüber verständlich über die Datenleitung transportiert. Eine hohle oder blecherne Akustik konnten Gesprächspartner nicht bestätigen, Aussagen wie „ich verstehe dich so als würdest du das Telefon am Ohr haben“ oder ähnliches waren das Feedback. Auch Windgeräusche bei z.B. einem Spaziergang werden gut gefiltert sind bei einem Telefonat kaum hörbar.
Klanglich sind die ear (1) überzeugend unterwegs, stechen aber trotz des großen Treibers nicht besonders aus der Masse heraus. Der Bass ist sehr dynamisch und druckvoll, man hört auch die Abstimmung pro Bassbereich ein wenig, um wahrscheinlich den Spaßfaktor etwas zu erhöhen. Aber er dominiert nicht und lässt dem Mittel- und Hochtonbereich genügend Luft, um sich zu entfalten. Die homogene Abstimmung überzeugt mit einem guten Auflösungsvermögen, so des Songs wie z.B. Missing von London Grammar oder Hurt von Christina Aguilera sehr klar und kraftvoll in der Stimmenwiedergabe daherkommen, aber eben auch Titel wie Hypnotize von Notorious BIG oder Natural Blue von Moby den richtigen Funfaktor mitbringen.
Bei maximaler Lautstärke wird es manchmal etwas spitz im Hochtonbereich, selten, aber hörbar. Der in der App vorhandene Equalizer ist da auch keine Hilfe, die „Balanced“ Einstellung vom Werk aus ist da schon die beste Einstellung für die Kopfhörer. Die anderen Modi „More Treble“, „More Bass“ und „Voice“ machen eben genau das was sie wörtlich versprechen, aber keine der vorgegebenen Abstimmungen überzeugen letztendlich ernsthaft. Leider kann man den Equalizer nicht selbst definieren und muss mit den vorgegebenen leben, hier bieten andere Hersteller mehr mittlerweile. Mehr gibt es zu den Nothing ear (1) auch nicht zusagen und somit komme ich zum Fazit.
Wie schon einleitend verraten, haben mich die Nothing ear (1) in meiner Erwartungshaltung nicht enttäuscht. Es wurde viel versprochen vom Team um Nothing, zu dem übrigens auch der Mitgründer der erfolgreichen Smartphone Marke OnePlus Carl Pei zuzählt und die letzten knapp 1400 Wörter bestätigen Nothing. Optisch sind die ear (1) ein Volltreffer, sie sind ANDERS und das alleine reicht schon um in dem unüberschaubaren Markt der In-Ears ein Ausrufezeichen zu setzen. Die technische Note im Design, das wertige, transparente Ladecase bzw. an den In-Ears und die kleinen Details zeigen, wie man es als Firma richtig macht, um im Einheitsbrei aufzufallen. Hier haben sich Leute Gedanken gemacht, nicht einfach nur ein fertiges OEM-Produkt gelabelt, sondern eine eigene Kreation geschaffen.
Dazu kommen auch noch ein Noise Cancelling, was auch teurere Modelle in die Tasche steckt, eine solide Akkulaufzeit und ein Klangbild, welches mit einem guten Auflösungsvermögen und dynamischen Bass überzeugen kann. Das die Steuerung bzw. die App nicht perfekt ist möchte ich nicht überwerten. Denn zusammenfassend könnte man meinen, ich rede hier von einem neuen Flaggschiff für Hunderte von Euros, dabei bekommt man die Nothing ear (1) für 99,- Euro und ehrlich gesagt, da kann ich mit ruhigen Gewissen über die „Kleinigkeiten“ hinwegsehen. Ich hoffe der Weg der Firma Nothing geht so „Eigensinnig“ weiter und die Nothing ear (1) waren nicht nur ein „One Hit Wonder“. Bisschen Frische in dem gesättigten Markt tut sicherlich gut und Respekt an Nothing mit dem Erstlingswerk gleich so eine Ansage in Richtung der Großen der Branche zu feuern.
Für 99,- Euro sind die Nothing ear (1) fair bezahlt und in meinen Augen ein absolutes Top-Produkt.
Nothing ear (1)